16/02/2025
Im weiten Panorama der biblischen Schriften nimmt das Markus-Evangelium eine einzigartige und oft unterschätzte Stellung ein. Es ist nicht nur ein fundamentales Zeugnis über das Leben, Wirken und die Botschaft Jesu Christi, sondern wird auch weithin als das älteste der vier kanonischen Evangelien betrachtet. Doch wann genau wurde dieses epochale Werk verfasst, und welche Bedeutung hat es für den Glauben und das Verständnis der frühen Christenheit? Tauchen wir ein in die faszinierende Geschichte dieses Evangeliums, das uns so viel über die Anfänge des Christentums lehrt.

Wann wurde das Markus-Evangelium geschrieben?
Die Frage nach dem genauen Entstehungsdatum des Markus-Evangeliums ist für die biblische Forschung von großer Bedeutung. Altchristliche Überlieferungen und interne Hinweise im Text deuten darauf hin, dass es um das Jahr 70 n. Chr. verfasst wurde. Diese Zeit ist aus zwei wesentlichen Gründen von entscheidender Bedeutung: Zum einen fällt sie in die Periode nach dem Tod der Apostel und den ersten Generationen von Christen, zum anderen steht sie in direktem Zusammenhang mit einem der traumatischsten Ereignisse der jüdischen Geschichte – der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels durch die Römer. Kapitel 13 des Markus-Evangeliums spielt auf diese Ereignisse an und wird oft als entscheidender Hinweis auf die Abfassungszeit herangezogen.
Es wird angenommen, dass Markus seine Erzählung nach diesem Ereignis oder zumindest in dessen unmittelbarer zeitlicher Nähe niederschrieb. Dies macht das Evangelium zu einem Zeugnis, das die frühe Kirche in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche und Verfolgungen stärken sollte. Die Prägnanz und Direktheit des Textes spiegeln möglicherweise auch die Dringlichkeit der Botschaft in einer unsicheren Zeit wider.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Entstehungszeit ist das Zielpublikum. Das Markus-Evangelium wurde primär für Heiden und Heidenchristen verfasst. Dies wird deutlich an Erläuterungen jüdischer Bräuche (z.B. Markus 7,3f), die für einen jüdischen Leser überflüssig gewesen wären, aber für ein nicht-jüdisches Publikum notwendig waren, um den Kontext der Jesus-Geschichte zu verstehen. In einer Welt, in der das Christentum sich zunehmend über die jüdischen Grenzen hinaus ausbreitete, bot Markus eine zugängliche und kraftvolle Darstellung des Evangeliums. Es diente dazu, den Glauben der neuen Bekehrten zu festigen und sie auf die Herausforderungen der Nachfolge vorzubereiten.
Wer war Markus? – Der Verfasser des ältesten Evangeliums
Die altkirchliche Überlieferung schreibt das älteste griechisch geschriebene Evangelium einer Person namens Johannes Markus aus Jerusalem zu. Er wird als Sohn einer Maria beschrieben, in deren Haus sich die Urgemeinde in Jerusalem versammelte (Apostelgeschichte 12,12). Diese Verbindung zur frühen Jerusalemer Gemeinde verleiht seiner Autorenschaft eine besondere Authentizität und Nähe zu den Ursprüngen des christlichen Glaubens.
Markus war zudem ein Vetter des Barnabas und ein Mitarbeiter des Paulus (Philemon 24; Kolosser 4,10; Apostelgeschichte 13,5; 15,36-39). Später wird er auch als Mitarbeiter des Petrus erwähnt (1. Petrus 5,13). Diese vielfältigen Verbindungen zu führenden Persönlichkeiten der frühen Kirche untermauern die Annahme, dass Markus Zugang zu authentischen Überlieferungen über Jesus hatte. Es ist denkbar, dass er viele der Geschichten und Lehren direkt von Petrus, einem Augenzeugen Jesu, empfangen und aufgezeichnet hat, wie es einige frühe Kirchenväter berichten.
Traditionell wird angenommen, dass Markus sein Evangelium in Rom verfasste. Dies würde die Relevanz für Heidenchristen in der Hauptstadt des Römischen Reiches unterstreichen und könnte auch die Betonung des Leidens und der Verfolgung erklären, die in seinem Evangelium eine zentrale Rolle spielen. Die Gemeinschaft in Rom, die möglicherweise bereits Verfolgungen ausgesetzt war, fand in Markus' Darstellung Jesu als leidendem Gottessohn Trost und Ermutigung. Seine Botschaft von einem Christus, der durch Leiden zur Herrlichkeit gelangt, war für eine bedrängte Gemeinde von immenser Bedeutung.
Die einzigartige Struktur und tiefgründigen Inhalte des Markus-Evangeliums
Markus war kein einfacher Chronist; er war ein Theologe und ein geschickter Erzähler. Er sammelte und ordnete bestehende Überlieferungen über Jesus systematisch, um sie zu einem kohärenten Evangelium zu verarbeiten. Dazu gehörten vor allem Wundererzählungen, Gleichnisse, Geschichten, die in einem Jesuswort gipfeln, einzelne Worte Jesu und detaillierte Zeugnisse über die Passion. Seine Arbeit war entscheidend für die Formung der Evangeliums-Gattung, die später von Matthäus und Lukas aufgegriffen und weiterentwickelt wurde.
Der geographische Aufriss des Evangeliums ist klar strukturiert und führt den Leser auf einer Reise mit Jesus:
- Wirken Jesu in Galiläa (1,14 - 5,43): Hier beginnt Jesus seine öffentliche Tätigkeit, ruft Jünger, lehrt und vollbringt Wunder, die seine göttliche Autorität offenbaren. Dieser Abschnitt konzentriert sich auf die anfängliche Begeisterung und das Wachstum seiner Anhängerschaft.
- Wanderung durch jüdisch-heidnisches Gebiet mit Belehrung der Jünger (6,1 - 9,50): In diesem Abschnitt zieht sich Jesus zurück, um seine Jünger intensiver zu unterweisen und sie auf das kommende Leiden vorzubereiten. Die Betonung liegt hier auf dem Verständnis der Jüngerschaft und der oft schwierigen Erkenntnis der Jünger.
- Zug nach Jerusalem, Ringen mit den jüdischen Führern und Tod am Kreuz (10,1 - 15,47): Der Höhepunkt der Erzählung, der unweigerlich auf das Leiden und den Tod Jesu in Jerusalem zusteuert. Markus betont hier die Erfüllung der prophetischen Schriften und die Bedeutung des Kreuzes als zentrales Ereignis der Heilsgeschichte.
Das Evangelium beginnt abrupt mit dem Auftreten Johannes des Täufers (1,1-13) und endet ebenso jähe mit dem Auffinden des leeren Grabes durch Frauen am Ostermorgen (16,1-8). Dieser ursprüngliche Schluss, der nur das leere Grab und die Botschaft der Auferstehung ohne Erscheinungen Jesu erwähnt, hat viele Leser über die Jahrhunderte hinweg irritiert und zu Spekulationen geführt.

Der bekannte Anhang (16,9-20), der Erscheinungen des auferstandenen Jesus beschreibt, wurde erst im 2. Jahrhundert von unbekannter Hand hinzugefügt. Dies geschah vermutlich, weil der jähe Schluss von 16,8 als unbefriedigend empfunden wurde und man eine 'vollständigere' Darstellung der Auferstehung wünschte. Die Annahme, dass ein ursprünglicher Schluss verloren ging, ist eher unwahrscheinlich; vielmehr scheint Markus bewusst einen offenen Schluss gewählt zu haben, der die Leser dazu auffordert, die Botschaft des leeren Grabes selbst weiterzutragen und die Implikationen der Auferstehung zu erfassen.
Die theologische Botschaft: Jesus als Messias und Sohn Gottes
Im Kern seiner Botschaft verkündet Markus, dass Gott durch Jesus seinen Willen offenbart hat, die Menschen zu retten. Jesus ist der verheißene Messias und der Sohn Gottes. Mit seinem Wirken ist die Heilszeit angebrochen (1,14). Diese Botschaft durchzieht das gesamte Evangelium, wobei Markus sie nicht als bloße Behauptung, sondern als eine Wahrheit darstellt, die sich durch Jesu Taten und sein Schicksal offenbart.
Markus stellt Jesus als denjenigen dar, der das Unheil überwindet, die Herrschaft des Satans und seiner Helfer bricht (durch Dämonenaustreibungen und Krankenheilungen), Sünden vergibt (2,1-12), den unverfälschten Willen Gottes verkündet (2,27f; 7,1-23) und das Reich Gottes aufrichtet (Kap. 4). Jede Heilung, jede Dämonenaustreibung ist ein Zeichen der Ankunft des Reiches Gottes und des Sieges über die Mächte des Bösen.
Ein wiederkehrendes Thema ist das sogenannte 'messianische Geheimnis'. Weil in Jesu Person Gottes Vollmacht in menschlicher Niedrigkeit auftritt, wird sein Geheimnis oft nicht sofort begriffen – weder von den Juden noch von den Jüngern vor der Auferstehung Jesu (6,4-6; 8,14-21; 14,26-42). Jesu Schweigegebote (5,43; 8,30; 9,9) sind ein Ausdruck dieses Geheimnisses; er möchte, dass seine Identität durch seine Taten und letztlich durch seine Auferstehung offenbart wird, nicht durch bloße Worte. Es geht darum, Jesu wahre Natur nicht nur als Wundertäter, sondern als leidenden Diener Gottes zu verstehen.
Die einzig angemessene Haltung gegenüber der Botschaft Jesu ist unbedingter Glaube (5,36; 9,19-24; 11,22-25). Für Markus bedeutet Christsein, Jesus in Glaube, Selbstlosigkeit, Bereitschaft zum Dienen und Mut zum Leiden nachzufolgen (8,31-33; 9,42-48; 10,17-27.41-45). Nur so kann man die Kraft des Reiches Gottes erfahren. Die Jüngerschaft ist kein passives Erleben, sondern eine aktive Nachfolge, die Opferbereitschaft erfordert.
Der Höhepunkt dieser Erkenntnis für Markus ist der römische Hauptmann unter dem Kreuz, der als erster Heide das Geheimnis Jesu erkennt und ausruft: 'Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!' (15,39). In ihm sieht Markus die gesamte Heidenkirche beim Kreuz Christi vertreten. Das Evangelium sollte die bedrängten Heidenchristen in ihrem Glauben stärken und sie ermutigen, Christus auch in Verfolgungen treu zu bleiben, indem es ihnen das Beispiel des leidenden und siegreichen Messias vor Augen führt.
Um die Besonderheiten des Markus-Evangeliums zusammenzufassen, betrachten wir die wichtigsten Merkmale:
| Merkmal | Beschreibung |
|---|---|
| Abfassungszeit | Um 70 n. Chr., in zeitlichem Zusammenhang mit der Zerstörung Jerusalems. |
| Autor | Johannes Markus, Vetter des Barnabas, Mitarbeiter des Paulus und Petrus. |
| Abfassungsort | Nach altkirchlicher Überlieferung in Rom. |
| Zielgruppe | Primär Heiden und Heidenchristen. |
| Sprache | Griechisch, oft als prägnant und direkt beschrieben. |
| Inhaltlicher Fokus | Betonung des Handelns Jesu, der Wunder, des Dienstes und insbesondere des Leidensweges (Passion). |
| Theologische Schwerpunkte | Jesus als Messias und Sohn Gottes, das "messianische Geheimnis", die Notwendigkeit von Glaube und Nachfolge. |
| Einzigartiger Schluss | Endet abrupt mit dem leeren Grab (16,8), ohne Erscheinungen des Auferstandenen im ursprünglichen Text. |
Häufig gestellte Fragen zum Markus-Evangelium
- Ist das Markus-Evangelium wirklich das älteste Evangelium?
- Ja, die Mehrheit der modernen biblischen Forschung ist sich einig, dass das Markus-Evangelium das erste der vier kanonischen Evangelien ist, das verfasst wurde. Es diente wahrscheinlich auch als Quelle für Matthäus und Lukas, was als "Markus-Priorität" bekannt ist.
- Warum ist der ursprüngliche Schluss des Markus-Evangeliums so abrupt?
- Der ursprüngliche Schluss bei Markus 16,8, wo die Frauen das leere Grab finden und aus Furcht fliehen, ist bewusst offen gehalten. Er fordert die Leser heraus, die Botschaft der Auferstehung selbst zu verbreiten und in ihrem eigenen Leben zu erfahren. Der später hinzugefügte Anhang (16,9-20) versuchte, diesen abrupten Schluss zu 'mildern' und Erscheinungsberichte einzufügen, die in anderen Evangelien zu finden sind, was die Bedeutung des ursprünglichen Endes unterstreicht.
- Für wen wurde das Markus-Evangelium geschrieben?
- Das Markus-Evangelium wurde hauptsächlich für Heiden und Heidenchristen verfasst. Dies zeigt sich an den Erklärungen jüdischer Sitten und Gebräuche und der Betonung des Verständnisses Jesu als Messias und Sohn Gottes, auch für ein nicht-jüdisches Publikum, das mit jüdischen Traditionen weniger vertraut war.
- Was ist das "messianische Geheimnis" bei Markus?
- Das "messianische Geheimnis" bezieht sich auf die Tendenz Jesu im Markus-Evangelium, seine wahre Identität als Messias und Sohn Gottes geheim zu halten oder die Menschen anzuweisen, seine Wunder nicht zu erzählen. Dies dient oft dazu, Missverständnisse über seine Rolle als politischer oder militärischer Messias zu vermeiden und zu betonen, dass seine Identität erst vollständig durch sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung offenbart wird. Es ist eine theologische Strategie, die wahre Natur seiner Königsherrschaft zu enthüllen.
Das Markus-Evangelium ist weit mehr als nur eine historische Aufzeichnung. Es ist ein kraftvolles theologisches Werk, das die frühe Kirche in einer Zeit des Umbruchs und der Verfolgung stärkte. Seine direkte und prägnante Erzählweise, seine Betonung des leidenden Messias und die Aufforderung zu unbedingtem Glaube und Nachfolge machen es zu einem zeitlosen Zeugnis. Es erinnert uns daran, dass das Verständnis Jesu nicht nur intellektuell, sondern vor allem durch eine engagierte und dienende Lebensweise geschieht. Auch heute noch inspiriert und fordert es Gläubige heraus, die Botschaft des verheißenen Messias und Sohnes Gottes neu zu entdecken und zu leben, und dabei die Kraft des Reiches Gottes zu erfahren, die sich in jedem, der ihm nachfolgt, offenbart.
Wenn du andere Artikel ähnlich wie Das Markus-Evangelium: Das älteste Zeugnis kennenlernen möchtest, kannst du die Kategorie Bibel besuchen.
