Wie entstand die Passion von Johanna?

Johanna von Orléans: Vom Hirtenmädchen zur Heiligen

01/11/2025

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Zwei Bilder dominieren die Erinnerung an Johanna von Orléans, die seit nunmehr sechs Jahrhunderten die Vorstellungskraft der Menschen beflügelt: Da ist zum einen die triumphierende Kriegerin, hoch zu Ross, in schwerer Rüstung, die trotz ihrer jugendlichen Anmut eine Aura unbezwingbarer Stärke ausstrahlt. Und dann ist da das erschütternde Bild der gebrandmarkten „Hexe“, gefesselt am Pfahl des Scheiterhaufens, ein Kreuz fest an ihre Brust gepresst, umgeben von Rauch und den verzehrenden Flammen. Zwischen diesen extremen Polen entfaltete sich das nur 19 Jahre kurze, doch unglaublich intensive Leben dieses außergewöhnlichen Mädchens. Geboren vermutlich am 6. Januar 1412 in Domrémy, einem kleinen Ort im Nordosten Frankreichs, sollte sie nur dreizehn Jahre später eine mystische Erfahrung machen, die ihr Schicksal und das einer ganzen Nation für immer verändern würde. Plötzlich hörte sie im Wald Stimmen, die ihr einen klaren Befehl erteilten: Sie solle ein gutes Leben führen und Gott gehorchen. Was als eine einfache religiöse Mahnung begann, entwickelte sich zu einer der bemerkenswertesten Geschichten der europäischen Geschichte, gezeichnet von tiefer Frömmigkeit, unerschütterlichem Mut und einem tragischen Ende, das Jahrhunderte später zur Heiligsprechung führte.

Wie entstand die Passion von Johanna?
Johanna stand in Rüstung und mit Standarte neben ihm. Doch über Johanna brauten sich bereits dunkle Wolken zusammen. Am 23. Mai 1430 wurde sie nach der Niederlage der Franzosen in der Schlacht von Compiègne gefangengenommen, an die Engländer verkauft und einem Inquisitionsgericht ausgeliefert. Johannas Passion begann.
Inhaltsverzeichnis

Die geheimnisvolle Berufung und der göttliche Auftrag

Im Alter von dreizehn Jahren, als andere Mädchen ihres Alters noch unbeschwerte Kindertage verbrachten, wurde Johanna von Orléans von einer tiefgreifenden spirituellen Erfahrung heimgesucht, die ihr Leben für immer prägen sollte. Im stillen Wald ihrer Heimat Domrémy hörte sie plötzlich Stimmen, klare und unmissverständliche Botschaften, die aus dem Himmel zu kommen schienen. Zunächst waren es einfache Ermahnungen, ein frommes Leben zu führen und den Geboten Gottes zu folgen. Doch mit der Zeit wurden diese Stimmen spezifischer und dringlicher. Johanna, die fest an ihre göttliche Berufung glaubte, berichtete zuerst ihren Eltern und später den kirchlichen und weltlichen Autoritäten, dass der Erzengel Michael sowie die Heiligen Katharina von Alexandrien und Margareta von Antiochia ihr einen monumentalen Auftrag erteilt hätten: Sie sollte Frankreich von der englischen Besatzung befreien und den Dauphin Karl VII. zum rechtmäßigen König von Frankreich krönen lassen. In einer Zeit, in der Frankreich durch den Hundertjährigen Krieg zerrissen war, in der Verzweiflung und Chaos herrschten, schien dies ein Hirngespinst einer überdrehten, analphabetischen Bauerntochter zu sein. Niemand konnte sich vorstellen, dass ein junges Mädchen, das weder lesen noch schreiben konnte, dazu auserwählt sein sollte, das Schicksal einer ganzen Nation zu wenden. Doch Johannas Überzeugung war unerschütterlich, ihr Glaube an die himmlischen Botschaften war so stark, dass er schließlich auch die mächtigsten Männer ihrer Zeit in seinen Bann ziehen sollte.

Eine Nation am Abgrund und die unerwartete Retterin

Das Frankreich des frühen 15. Jahrhunderts war ein Land am Rande des Abgrunds. Der Hundertjährige Krieg mit England hatte die Nation ausgeblutet, große Teile des Territoriums waren besetzt, und der Dauphin Karl VII. war noch nicht gekrönt, was seine Legitimität schwächte. Die Moral war auf einem Tiefpunkt. Inmitten dieser Verzweiflung erschien Johanna, nun 17 Jahre alt, mit ihrer unglaublichen Behauptung, vom Himmel gesandt zu sein, um das Land zu retten. Nach anfänglichem Spott und Unglauben gelang es ihr tatsächlich, den Dauphin zu sprechen. Mit einer unerschütterlichen Überzeugung verkündete sie ihm im Namen des Himmels die Rettung Frankreichs und seine bevorstehende Krönung in Reims. Karl VII., der nichts mehr zu verlieren hatte, ließ ihre Glaubwürdigkeit drei Wochen lang von erfahrenen Kirchenmännern prüfen. Trotz der Skepsis und der ungewöhnlichen Umstände – eine junge Frau, die Männerkleidung trug und militärische Führung beanspruchte – gab er schließlich seine Zustimmung. Dies war ein Wendepunkt, der das Blatt zugunsten Frankreichs wenden sollte. Johannas unerschütterlicher Glaube und ihre charismatische Ausstrahlung begannen, die Menschen zu inspirieren und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft neu zu entfachen.

Der Triumph von Orléans und die Krönung in Reims

Mit der Zustimmung des Dauphins begann Johannas militärische Karriere, die ebenso kurz wie spektakulär war. Sie wurde mit einer Rüstung und einer Standarte ausgestattet, die das Banner Frankreichs trug. Ihre Anwesenheit auf dem Schlachtfeld, die sie in Männerkleidung und mit dem festen Glauben an ihre göttliche Mission zeigte, hatte eine unglaubliche Wirkung auf die französischen Truppen. Innerhalb von nur acht Tagen gelang es der Jungfrau, den Belagerungsring der Engländer um die strategisch wichtige Stadt Orléans zu sprengen. Dieser Sieg, der lange als unerreichbar galt, war ein Wunder und ein massiver psychologischer Schlag gegen die englischen Besatzer. Der „Jungfrau von Orléans“ wurde fortan als Heldin gefeiert, und ihr Name wurde zum Symbol des französischen Widerstands. Dieser Erfolg ebnete den Weg für den nächsten entscheidenden Schritt: die Krönung Karls VII. Am 17. Juli 1429 erreichte Johanna den Höhepunkt ihres Ruhmes. Karl VII. wurde in der Kathedrale von Reims feierlich zum König Frankreichs gekrönt. Johanna stand in voller Rüstung und mit ihrer Standarte an seiner Seite, ein lebendes Symbol für die göttliche Legitimation seiner Herrschaft und die wiedererlangte Hoffnung Frankreichs. Dieser Moment markierte nicht nur einen politischen Triumph, sondern auch die Erfüllung des Kerns ihrer Vision.

Der Fall einer Heldin: Verrat und Gefangenschaft

Doch der Glanz des Ruhmes sollte nicht von Dauer sein. Bereits kurz nach der Krönung Karls VII. begannen sich dunkle Wolken über Johanna zusammenzubrauen. Ihre militärischen Erfolge hatten Neid und Misstrauen geweckt, insbesondere bei jenen Höflingen, die sich durch ihre plötzliche Macht bedroht fühlten. Am 23. Mai 1430, nach einer Niederlage der Franzosen in der Schlacht von Compiègne, wurde Johanna gefangen genommen. Das war der Beginn ihrer „Passion“, einer Leidenszeit, die jener von Christus ähneln sollte. Sie wurde an die Engländer verkauft, die ein immenses Interesse daran hatten, die junge Frau, die sie so gedemütigt hatte, ein für alle Mal zu diskreditieren und zu vernichten. Für die Engländer war Johanna nicht nur eine militärische Bedrohung, sondern auch ein Symbol der französischen Hoffnung, das es zu zerstören galt. Sie lieferten sie einem Inquisitionsprozess aus, der nicht auf Gerechtigkeit, sondern auf politischer Vernichtung abzielte. Denn sollte sich herausstellen, dass Johanna vom Teufel gesandt war, würde auch Karls Krone ihren Wert verlieren. Der König, dem sie seine Herrschaft verdankte, wandte sich von ihr ab, um seine eigene Position nicht zu gefährden. Dies war der Beginn eines erbarmungslosen Kampfes, in dem Johanna allein gegen die mächtigsten Institutionen ihrer Zeit stand.

Der Inquisitionsprozess: Ein politisches Drama

Am 9. Januar 1431 begann in Rouen der Prozess gegen Johanna von Orléans, der als einer der berüchtigtsten Schauprozesse der Geschichte gilt. Etwa 50 der gelehrtesten Männer Frankreichs und Englands – Bischöfe, Advokaten, kirchliche Würdenträger – saßen über das blutjunge Mädchen zu Gericht. Es war von Anfang an ein politischer Prozess, der darauf abzielte, Johanna zu dämonisieren und damit die Legitimität Karls VII. zu untergraben. Die Engländer hatten Pierre Cauchon, den Bischof von Beauvais und einen treuen Anhänger der englischen Sache, zum Chefankläger ernannt. Cauchon, ein Mann von der Pariser Universität, war entschlossen, Johanna der Ketzerei zu überführen. Weitere Prozessführer und Beisitzer stammten aus dem pro-englischen Umfeld der Universität Paris. Johanna stand völlig allein da; sie hatte auf eigenen Wunsch keinen Anwalt, da sie glaubte, Gott würde für sie sprechen. Die Anklageschrift war lang und umfasste sage und schreibe 70 schwere Vergehen und Sünden. Ihr wurden Zauberei und Hexerei, Blasphemie, falsche Weissagung, Schamlosigkeit (wegen ihrer Männerkleidung), Hochmut und kirchenspalterisches Verhalten vorgeworfen. Jede Antwort Johannas wurde penibel protokolliert und gegen sie verwendet. Trotz des immensen Drucks, der Einschüchterung und der komplizierten theologischen Fragen, die ihr gestellt wurden, blieb Johanna erstaunlich standhaft und wies alle Vorwürfe mit klarer Überzeugung zurück, stets betonend, dass sie nach göttlichem Befehl gehandelt hatte.

Die Hauptanklagepunkte gegen Johanna und ihre Bedeutung

AnklagepunktBedeutung aus der Sicht der Ankläger / Johannas Perspektive
Zauberei & HexereiSie wurde beschuldigt, dämonische Mächte zu nutzen. Johanna behauptete, ihre Stimmen kämen von Gott.
BlasphemieIhre Behauptung, direkt von Gott gesandt zu sein, wurde als gotteslästerlich angesehen. Für Johanna war es reine Wahrheit.
Falsche WeissagungTrotz ihrer erfolgreichen Prophezeiungen (Orléans, Krönung) wurde ihr vorgeworfen, Lügen zu verbreiten.
Schamlosigkeit (Männerkleidung)Das Tragen von Männerkleidung war ein schwerer Verstoß gegen die kirchliche Kleiderordnung und wurde als skandalös empfunden. Sie sah es als notwendig für ihre Mission.
HochmutIhre Unbeirrbarkeit und ihr Selbstbewusstsein wurden als Arroganz und Missachtung der Autorität ausgelegt.
Kirchenspalterisches VerhaltenSie weigerte sich, die Autorität des Gerichts über die ihrer göttlichen Stimmen zu stellen, was als Häresie interpretiert wurde.

Das unerschütterliche Bekenntnis und der letzte Kampf

Trotz der erdrückenden Übermacht des Gerichts und der raffinierten Fragen, die darauf abzielten, sie in theologische Fallen zu locken, blieb Johanna unerschütterlich. Ihre Antworten waren oft von einer beeindruckenden Schlichtheit und zugleich tiefem Glauben geprägt. Als man sie fragte, ob sie wisse, dass sie in der Gnade Gottes sei – eine Fangfrage, da niemand dies mit Sicherheit wissen kann und eine positive Antwort als Hochmut ausgelegt worden wäre – antwortete sie mit jener berühmten Formulierung, die ihre tiefe Frömmigkeit und ihren scharfen Verstand offenbart: „Falls ich nicht in ihr bin, wolle Gott mich in sie versetzen; falls ich in ihr bin, möge Gott mich in ihr bewahren.“ Diese Antwort entwaffnete ihre Ankläger und zeigte ihre unbedingte Hingabe an Gott. Sie weigerte sich, ihre Stimmen zu verleugnen oder die Autorität der Kirche über die direkten Befehle Gottes zu stellen, die sie empfangen zu haben glaubte. Dies wurde als hartnäckige Häresie ausgelegt. Am 24. März 1431 wurde das Urteil gefällt: Die einst umjubelte Heldin Frankreichs war nun offiziell eine Ketzerin, mit der kurzer Prozess gemacht werden musste. Ihr wurde die Wahl gelassen, abzuschwören oder dem Tod auf dem Scheiterhaufen entgegenzusehen. Unter immensem Druck und der Drohung mit dem sofortigen Tod unterschrieb sie zunächst eine Abschwörung, widerrief diese jedoch kurz darauf, als sie die volle Tragweite und den Verrat an ihrer Mission erkannte. Sie wählte den Tod, um ihrem Glauben treu zu bleiben.

Der Scheiterhaufen von Rouen: Ein tragisches Ende und ein ewiges Vermächtnis

Am 30. Mai 1431 bestieg Johanna von Orléans den Scheiterhaufen auf dem Marktplatz von Rouen. Umgeben von einer großen Menschenmenge, die sowohl Neugier als auch Entsetzen zeigte, hielt sie ein kleines Kreuz fest an ihre Brust gedrückt. Ihre letzten Worte waren ein Gebet, ein Aufruf an Jesus, und sie beteuerte bis zum Schluss ihre Unschuld und die Wahrheit ihrer göttlichen Stimmen. Sie starb in den Flammen, ein tragisches Opfer politischer Intrigen und religiöser Intoleranz. Doch ihr Tod war nicht das Ende, sondern der Beginn eines neuen Kapitels ihrer Geschichte. 1456, 25 Jahre nach ihrem Tod, wurde Johanna von der Kirche feierlich postum rehabilitiert. Ein neues kirchliches Gericht erklärte den ursprünglichen Prozess für ungültig, die Anklagepunkte für falsch und Johanna für unschuldig. Dies war eine wichtige symbolische Wiedergutmachung, auch wenn sie für Johanna selbst zu spät kam. Doch ihr Einfluss wuchs weiter. Über Jahrhunderte hinweg wurde sie zur Nationalheldin Frankreichs, einem Symbol für Mut, Glaube und Widerstand. Schließlich wurde ihr außergewöhnliches Leben und ihr unerschütterlicher Glaube auch von der höchsten Autorität der katholischen Kirche anerkannt. 1909 wurde sie von Papst Pius X. seliggesprochen, und am 16. Mai 1920 wurde sie von Papst Benedikt XV. zur Heiligen erklärt. Die einst als „Hexe“ verbrannte Johanna von Orléans ist heute eine der bekanntesten und verehrtesten Heiligen der katholischen Kirche, ein leuchtendes Beispiel für unerschütterlichen Glauben und den Mut, für seine Überzeugungen einzustehen, selbst im Angesicht des Todes. Ihre Geschichte hallt bis heute wider als Mahnung an die Gefahren von Fanatismus und als Inspiration für all jene, die sich für Gerechtigkeit und Wahrheit einsetzen.

Häufig gestellte Fragen zu Johanna von Orléans

Wer war Johanna von Orléans?
Johanna von Orléans, auch bekannt als Jeanne d'Arc oder die Jungfrau von Orléans, war eine französische Nationalheldin und Heilige der römisch-katholischen Kirche. Sie spielte eine entscheidende Rolle im Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England, indem sie die französischen Truppen zu wichtigen Siegen führte und zur Krönung Karls VII. beitrug.
Welche Rolle spielte sie im Hundertjährigen Krieg?
Johanna führte die französischen Truppen zum Sieg bei der Belagerung von Orléans im Jahr 1429, einem entscheidenden Wendepunkt des Krieges. Ihr militärischer Erfolg und ihre Inspiration trugen maßgeblich dazu bei, die Moral der Franzosen zu heben und Karl VII. die Krönung in Reims zu ermöglichen, was seine Legitimität als König stärkte.
Warum wurde sie verbrannt?
Johanna wurde 1430 von den Burgundern gefangen genommen und an die Engländer verkauft. Sie wurde einem politischen Inquisitionsprozess unterzogen, der von pro-englischen Geistlichen geleitet wurde. Ihr wurden unter anderem Ketzerei, Zauberei, Blasphemie und das Tragen von Männerkleidung vorgeworfen. Nach einem langen Prozess wurde sie zum Tode verurteilt und am 30. Mai 1431 in Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Wurde sie später rehabilitiert?
Ja, 25 Jahre nach ihrem Tod, im Jahr 1456, wurde ein Revisionsprozess eingeleitet, der den ursprünglichen Urteilsspruch aufhob und Johanna posthum rehabilitierte. Dieser Prozess stellte ihre Unschuld fest und erklärte den ersten Prozess für ungültig und voller Fehler.
Wann wurde Johanna von Orléans heiliggesprochen?
Johanna von Orléans wurde 1909 von Papst Pius X. selig- und am 16. Mai 1920 von Papst Benedikt XV. heiliggesprochen. Sie ist heute eine der Schutzpatroninnen Frankreichs und ein Symbol für Mut, Glaube und Opferbereitschaft.

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